Janet Yellen: So tickt die mächtigste Frau der Welt

Die Finanzwelt blickt im monatlichen Rhythmus gespannt nach Washington, wenn die US-Notenbank, (Federal Reserve, kurz „Fed“) den sogenannten Leitzins verkündet. Das ist der Satz, zu dem sich Banken Geld von der Zentralbank leihen können. Diese Entscheidungen bewegten mitunter Börsen, manchmal sogar ganze Industrien und Volkswirtschaften. Das betrifft das ferne Asien genauso wie die Wirtschaft in Deutschland. Und nun wurde es vom Senat bestätigt: die Federal Reserve, die Fed, bekommt eine neue Chefin, die erste in ihrer Geschichte. Wer ist diese Janet Yellen, von der nun unsere Wirtschaft abhängt? Ein Porträt.

In Washington zu Janet Yellen vorzudringen ist nicht ganz einfach: Man muss zunächst jede Menge Hürden schwerbewacht von grimmigen Männern mit dicken Oberarmen, noch dickeren Panzerwesten und großen Maschinenpistolen überwinden. Die spiegelblank gewienerten Flure derFed-Zentrale darf man als Betriebsfremder nie unbegleitet durchqueren.
Ausgestattet mit einem großen, für jeden schon von weitem sichtbaren gelben Anstecker auf dem Jackett gehen Besucher, nein, durchschreiten sie hohe Räume in gedämpftem Licht, die etwas von französischen Schlössern haben. Meine Turnschuhe, meine „Chucks“, passen sich automatisch dem Karma des Hauses, einer irgendwie anderen Schwerkraft an. Undenkbar hier mit Gummisohlen herumzuquietschen.

Und dann steht sie vor einem und lächelt: Ihr „Hi, I’m Janet“ holt mich in Millisekunden freundlich in die Realität zurück.

Janet Yellen strahlt eine gewisse Gemütlichkeit aus. Sie wirkt klein, ist aber größer als man denkt. Freundlich ihr Gesicht, mit vielen Lachfalten. Nein, so stellt man sich eigentlich keine zahlengetriebene, hart an der immer zählbaren Realität agierende Ökonomin in der Führung der wichtigsten Notenbank der Welt vor. Der Stempel „Taube“ passt irgendwie so gar nicht zu ihr, auch wenn er nur finanzpolitisch gemeint ist. Tauben werden die Verfechter einer lockeren Geldpolitik genannt, die sich für niedrige Leitzinsen beziehungsweise billiges Zentralbankgeld einsetzen, um damit die Wirtschaft anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu senken.
Heute trägt sie ein dunkelgrünes Kostüm, eine schlichte goldene Kette. Das kurze weiße Haar so geschnitten, gewürzt mit einem Hauch von Pixie-Look, dass es ihr rundes Gesicht und ihr Lächeln wohlwollend akzentuiert.
Dennoch wirkt sie durch und durch unauffällig. An keiner Supermarktkasse würde man sie hinter sich bemerken. Erst Recht würde man nicht auf die Idee kommen, ihr an der Kasse beim Einpacken der Tüten zu helfen. Eher würde sie den anderen helfen. Denn in einem Alter, in dem andere schon einige Jahre im Ruhestand sind, erklimmt sie den Höhepunkt ihrer Karriere. Und das merkt man ihr an: Sie strahlt eine unglaubliche nach vorne drängende Vitalität aus.
Mehr als professionell-freundlich ist die seit vielen Jahren mit dem WirtschaftsnobelpreisträgerGeorg Akerlof verheiratete Mutter eines Sohnes, der wiederum auch Wirtschaftsprofessor ist.
Yellen spricht leise und ziemlich schnell. Sie spannt einen weiten Bogen vom Lehmann-Crash bis zur Euro-Krise und erläutert ihre Beweggründe der bisherigen Geldpolitik. Sie lobt Deutschland, und mahnt ein wenig.
Und ganz beiläufig flicht sie Kaskaden an Zahlen und Gedankengebäuden ins Gespräch ein. Ich kann mir sofort vorstellen, wie sich die Studenten in ihrer Zeit als Harvard-Dozentin fühlten. Unter diesen Studenten war damals auch ein gewisser Larry Summers – im Herbst ihr Hauptkonkurrent um den Job des Fed-Chefs.
Janet Yellen ist ein Polit-Profi durch und durch. Sie hat nicht das dröge abschreckend Zahlenlastige so vieler Ökonomen. Sie schafft es beeindruckenderweise bei Gesprächspartnern den Eindruck zu erwecken, sie wären alte Bekannte, und zwar unabhängig davon, wie viele Personen sich sonst noch im Raum / Saal / Stadion aufhalten.
Unterdessen verfolgt sie wach jede Regung des Gegenübers, so dass man unbewusst gleich eine intellektuelle Schippe mehr auflegt. Wahrscheinlich haben das so auch ihre Studenten und Forscher-Kollegen erlebt an den Nobeltalentschmieden, an denen sie lehrte, an der London School of Economics, der UC Berkley und am legendären MIT.
Es ist wohl diese Mischung aus offensiver Freundlichkeit und faktensprühender Brillanz, die die inYale promovierte Ökonomin brauchte, um aus der akademischen Welt heraus in der ausgeprägten Männerkultur der US-Finanzszene Karriere machen zu können.
Die Härte, die man den New Yorkern, die aus der Bronx stammen, so oft anmerkt, scheint sie komplett abgelegt zu haben. Seit 1980 lehrt sie an der Universität in Berkeley.
In ihrer Karriere hat Yellen immer wieder Ausflüge in verschiedene Bereiche der US-Notenbankunternommen. Der Ruf ins Walhalla amerikanischer Politik erfolgte durch den damaligen Präsidenten Bill Clinton. Er berief sie 1997 zur Vorsitzenden des Council of Economic Advises im US-Präsidialamt.
Diese Frau beherrscht diese neue Form von Macht, die seit Obamas Antritt immer häufiger zu sehen ist: Präsenz ist das „neue Schwarz“. Substanz geht eindeutig vor Stil, keine sichtbaren Insignien von Macht oder Wohlstand. Aber wenn ihr jemand böse wollen würde und sich bei ihr, wie es etwaHillary Clinton oder Madelaine Albright passierte, an Äußerlichkeiten abarbeiten würde, um einen Angriff zu starten, dann würde er nichts finden. Sie weiß, wie Politik, wie Öffentlichkeit 2.0, wie Mann vs. Frau und vor allem wie die Schlangengrube Washington funktioniert.
Gut vier Jahre war sie jetzt stellvertretende Fed-Chefin und gilt als Co-Architektin der Politik des ultra-billigen Geldes ihres Vorgängers Bernanke, mit der die Fed seit mehr als fünf Jahren gegen die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise kämpft.

Was wird sie tun? Wird die schon begonnene vorsichtige Abkehr von dieser Politik fortgeführt? Manch einem in der Finanzwelt gilt Yellen als nicht hart genug. Andere befürchten sogar, sie könnte den Geldhahn wieder aufdrehen.

Da man von Yellen aber weiß, dass sie eine Anhängerin der Stützungsmaßnahmen ist, glauben wiederum andere, dass sie genau die Richtige sei, der Welt steigende Zinsen zu erklären. Wo auch immer es hingeht, von ihrem Handeln hängt enorm viel ab, nicht nur Aktienkurse und das Schicksal von Banken. Ihre Entscheidung hat auch Einfluss auf die Entwicklung ganzer Volkswirtschaften. Und wählt sie die falsche Richtung, kann ihre Politik gar internationale Finanzkrisen auslösen.

Man kann sie daher getrost als mächtigste Frau der Welt bezeichnen.

Als sich Janet Yellen nach einer guten Dreiviertelstunde erhebt, lächelt sie verschmitzt: „Greetings to Berlin, I hear it‘s great these days!“ Ihre Augen zucken blitzschnell nach unten, sie linst kaum wahrnehmbar auf mein großes gelbes Namensschild. „Cherno, this was fun. Why don’t you take a picture with your cell?“ Ihre Mitarbeiterin materialisiert sich scheinbar aus dem nichts. Janet sagt leise „Smile“ und knufft mich, als ich nicht spontan genug lächele. Mein Handy klickt leise und dann entschwindet sie. Ein „political animal, a natural!“ – in den USA ein maximales Lob – hat den Raum verlassen.
Ich muss nun einige Minuten warten, bis ich wieder hinausbegleitet werde.

erschienen in: HuffPost 8. Januar 2014